Eine Rose für die Hebamme: #HÖRAUF

Am 25. November legen Frauen in Deutschland dort rosa Rosen ab, wo sie unter der Geburt Gewalt erlebt haben oder respektlos behandelt worden sind. Auch ich war heute in der Klinik, in der ich die schlimmste Erfahrung meines Lebens gemacht habe: Die Geburt meiner ersten Tochter.

Ich habe ein Schild gemalt. #HÖRAUF steht in großen Buchstaben darauf. Ich habe auch eine Postkarte der „Roses Revolution“ abgelegt. Die Postkarte ist genau an die Hebamme adressiert, die mich vor sechs Jahren bei der Geburt meiner ersten Tochter weder schütze noch unterstütze. Stattdessen machte sie mich fertig. Sie sagte „Weinen hilft dir jetzt auch nicht“ und „Das reicht nicht“. Sie drängte mich zu Eingriffen, die medizinisch nicht notwendig waren, um schnell Feierabend machen zu können. Die Ärztinnen hatten es auch eilig. Es war voll in dieser Nacht auf der Station, der Kreißsaal wurde gebraucht. Ich habe auf die Postkarte an die Hebamme geschrieben: „Hör endlich auf. Hör auf, als Hebamme zu arbeiten. Hör auf, schutzlose Frauen zu beleidigen, abzuwerten und zu misshandeln. Hör auf, Frauen zu traumatisieren. Es ist nicht nur eine Frau. Es sind viele. HÖR AUF.“ Dazu gelegt habe ich eine wunderschöne rosa Rose.

Die rosa Rose ist das Zeichen dafür, dass Frauen unter der Geburt Gewalt erlebt haben.

Dieses Zeichen hätte ich nie selbst gewählt, es ist das Zeichen der Roses Revolution. Dahinter steht eine Bewegung. Bereits zum zehnten Mal gehen Frauen wie ich zu dem Ort, an dem sie die wahrscheinlich dunkelsten Stunden ihres Lebens erlebt haben: Der Ort, an dem sie ihr Baby zur Welt gebracht haben und dabei Schreckliches erlebt haben. Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu verstehen, was mir da eigentlich passiert ist. Meinen ersten Artikel über Geburten veröffentlichte ich noch unter einem Pseudonym. Viele Frauen schämen sich für das, was sie erlebt haben und für das, was es mit ihnen macht. In diesem Artikel für Edition F habe ich das erste Mal über meine Geburt geschrieben: „Gewalt gegen Gebärende: Wenn die Hebamme dich fertig macht.“ Immerhin bin ich Journalistin. Schreiben war und ist für mich ein wichtiger Weg, das Erlebte zu verarbeiten und daran mitzuarbeiten, diesen alltäglichen Skandal in die Öffentlichkeit zu bringen.

Ich weiß, dass diese Hebamme nicht aufhören wird. Sie geht weiter jeden Tag zur Arbeit. Nach mir und vor mit hat sie viele andere Frauen traumatisiert, einige davon habe ich getroffen. Völlig kühl, völlig unempathisch ist sie. So wie viele andere Hebammen auch. Für einen Artikel habe ich mit Katharina Desery vom Verein Mother Hood e.V., in dem sich Eltern für eine sichere Geburt einsetzen, gesprochen. Sie erklärte mir: „Es gibt auch unter Hebammen das Cool-Out-Phänomen“, erklärt sie. Solche Hebammen seien einfach abgestumpft. „Die vergessen in den Routinen des Alltags das Menschliche“, beschreibt Desery das, was viele Gebärende erleben. Genau das habe ich erlebt.

Ich möchte nichts unversucht lassen, um dieser Hebamme klarzumachen, dass es falsch ist, was sie tut. Dass es eben nichts mit der eigentlichen Arbeit einer Hebamme zu tun hat, wie sie die Frauen behandelt. Für das Feature für den epd mit dem Titel „Man hat mich einfach vergessen“ habe ich mit mehreren Frauen gesprochen, die traumatische Geburten erlebt haben. Diese Frauen haben so schreckliche Dinge erlebt und mit mir geteilt. Sie alle vereint ein Ziel: Öffentlich machen, was in der Geburtshilfe in Deutschland schiefläuft und anderen Frauen ehrliche Informationen über Geburten ermöglichen. Es geht auch darum, zu sagen: Es ist okay, wenn es dir nach der Geburt nicht gut geht. Immerhin haben viele Frauen nach der Geburt posttraumatische Störungen. Gemeint sind Alpträumen, Flashbacks, Panikattacken. Tanja Sahib ist Traumatherapeutin und betreut seit über zwanzig Jahren Frauen nach einer traumatischen Geburt. In ihrem Buch „Es ist vorbei – ich weiß es nur noch nicht“ erklärt sie, wie Frauen Schritt für Schritt das Erlebte verarbeiten können. Auch ich habe dieses Buch gelesen.

Ich weiß auch, dass es ganz wunderbare, zugewandte Hebammen gibt, die Frauen bei der Geburt unterstützen. Die ihnen einen sicheren und geborgenen Ort schaffen, an dem sie Unglaubliches leisten können: Ihr Baby zur Welt zu bringen. Auch das habe ich erlebt. Bei der Geburt meiner zweiten Tochter, gut fünf Jahre nach der traumatischen Geburt. Genau deshalb schreibe ich mein Buch über Geburten. Über den Fortschritt und darüber, warum noch viel mehr Frauen ihre Geschichte aufschreiben sollten, geht es in meinem Podcast „@frauhoegemann schreibt ein Buch“.

Unterwegs mit der rosa Rose und der Postkarte zur Klinik.

Ich bin sehr dankbar, dass es den Roses Revolution Day gibt. Ich weiß, dass sich viele Frauen nicht trauen, an den Ort des Geschehens zurückzugehen. Auch für mich war das heute nicht leicht. Mein Mann hat mich begleitet, er hasst diese Hebamme noch viel mehr als ich. Auch er wünscht sich, dass sie einfach aufhört. Es ist eine große Klinik in Berlin und niemand am Empfang wusste von der Aktion. Das kenne ich schon aus den letzten Jahren, als ich dort eine Rose niedergelegt habe. Nachdem ich auch heute zwei verschiedenen Security-Mitarbeitenden erklärt habe, was ich mit der Rose vorhabe, ließ man mich auf die Kreißsaalstation. Auch viele der Frauen, mit denen ich in den letzten Wochen, Monaten und Jahren gesprochen haben, werden in diesem Jahr nicht in die Klinik gehen. Meine Rose habe ich für sie alle stellvertretend mit abgelegt. Diese Rose ist für Johanna, Frida, Anke, Margret, Sarah, Charlotte, Nadja, Lydia, Kristin, Jule und für all die anderen Frauen, die im Kreißsaal allein gelassen, bedrängt, nicht ernst genommen, nicht gesehen und körperlich und psychisch verletzt wurden. Manche Frauen heißen wirklich so, manche haben andere Namen. Sie alle verdienen es, dass ihre Geschichten gehört und ernstgenommen werden.

Autorin
Lena Högemann
Autorin, Podcasterin und Journalistin in Berlin, online und da, wo Aufträge sie hinführen. Lena freut sich, dass du da bist und mehr über sie und ihre Arbeit erfahren möchtest.

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