Berlin-Mitte

„Bei der SPD habe ich den Eindruck, dass sie aus Deutschland ein großes Berlin-Mitte machen will“, hat Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn der Zeitung „Die Welt“ gesagt. Dieser Satz lässt mich nicht los. Was will Jens Spahn mir damit sagen? Was für ein Berlin-Mitte kennt er denn?

Ich bin in Hannover aufgewachsen. Ich bin es gewohnt, dass Menschen sich über meine Heimat lustig machen. Ich habe das nie verstanden. Lasst mich doch gerne aus Hannover kommen. Dort leben meine Eltern, meine Schwester und meine ältesten Freundinnen. Ich bin in Hannover aufgewachsen, habe dort wunderbare Studienjahre erlebt, habe mit Hannover 96 im Stadion gefeiert und geweint. Ich bin auch heute noch gerne da. Ich könnte mir sogar eines Tages vorstellen, wieder dort zu leben. Jawohl.

Aber zurzeit lebe ich sehr glücklich in Berlin-Mitte. Und jetzt benutzt ein führender CDU-Politiker mein Zuhause als Anti-Werbung für die SPD? Das ist verrückt und Grund genug für diesen Artikel. Darf ich vorstellen: Mein Berlin-Mitte.

Auch das ist Berlin-Mitte. Ich mag es hier.

Ich lebe seit gut 10 Jahren in Berlin-Mitte. Meine Töchter sind Berlinerinnen. Ich bin sehr dankbar, hier leben zu dürfen. Wenn Jens Spahn davor warnt, dass die SPD aus ganz Deutschland Berlin-Mitte machen will, denke ich erst einmal, dass er nicht richtig recherchiert hat. Berlin-Mitte ist eine Grünen-Hochburg. Nicht ganz so wie Friedrichshain-Kreuzberg, aber fast. Berlin-Mitte hat einen grünen Bezirksbürgermeister, bei der letzten Abgeordnetenhauswahl in dem Wahlkreis, in dem ich lebe, eine direkt gewählte Grünen-Abgeordnete und nur Eva Högl hatte es für die SPD in Berlin-Mitte geschafft, direkt in den Bundestag gewählt zu werden.

Der Bezirk Mitte ist groß. Dazu gehören neben dem Regierungsviertel, Teilen der Friedrichstraße und hippe Ecken wie der Rosenthaler Platz auch der Wedding und Moabit, in der Armut ein großes Problem ist. Insofern ist die SPD mit ihren Themen Mindestlohn, Mieten und Rente hier auch ganz richtig.

Mittem im Grünen steht die Zionskirche.

Mein Berlin-Mitte ist die Ecke rund um den Arkonaplatz und die Zionskirche. In der Zionskirche wirkte eins Dietrich Bonhoeffer. In dieser Kirche ist meine Tochter getauft, hier ist unsere Kita. Es ist wunderschön hier. Ich lebe sehr gerne hier. Ich bin dankbar, dass das hier mein Zuhause ist. Als ich neulich Abend draußen in einem Restaurant am Zionskirchplatz saß, dachte ich: Was wäre, wenn ganz Deutschland so leben dürfte wie wir? Also zumindest die, dies es wollen. Das wäre doch gar nicht schlecht. Mein Berlin-Mitte ist eine grüne Insel mitten in der Stadt. Hier gibt es alles, was man braucht und noch viel mehr. Der meiste Lärm hier kommt von Kindern. Von denen gibt es hier eine Menge. Wenn Eltern einen Kitaplatz finden – und ja, das ist immer noch viel Arbeit – dann können sie ihre Kinder so viel betreuen lassen, wie sie es brauchen, zum Beispiel wie wir als vollberufstätige Eltern bis 17 Uhr. Die einzigen Kosten, die entstehen, sind 23 Euro für das Essen in der Kita. Der Hort der größeren Tochter hat sogar bis 18 Uhr auf, wenn wir das brauchen. In den ersten Jahren ist auch der kostenlos. Das Mittagessen in der Schule ist ebenfalls kostenlos. Das alles bekommt man, wenn man eine Rot-Rot-Grüne Landesregierung hat, denke ich. Das meinte Jens Spahn aber sicher nicht. Ich weiß nur: Viele Eltern in ganz Deutschland können davon nur träumen.

Jens Spahns Kritik ging weiter: „Die Partei schaut immer weniger auf die Mitte der Gesellschaft, dafür umso mehr auf die urbanen Akademiker. Das ist bei allen drei linken Parteien so.“

Ertappt. Ich gehöre dazu. Ich bin Akademikerin und ich mache mir um den Klimawandel Sorgen. Es stimmt, dass die Mieten hier zu teuer sind und nicht jede Familie in diesem Teil von Mitte wohnen kann. Aber dagegen will die CDU ja als allerletztes etwas unternehmen. Das meint Jens Spahn also auch nicht. So richtig klären lässt sich nicht, was Jens Spahn uns damit sagen will.

Genau hier entstehen viele meiner Texte: Mit Blick auf den Arkonaplatz und mit richtig gutem Kaffee.

Für mich ist klar für diese Wahl: Auf der einen Seite stehen zwei Parteien, die im Prinzip weiter machen wollen wie bisher, nur mit etwas weniger Steuern für Gut- und Sehr-Gut-Verdienende. Auf der anderen Seite stehen drei Parteien, die etwas ändern wollen: Sie wollen ein sozialeres und gerechteres Deutschland und echten Klimaschutz. Im Endeffekt wollen sie mehr Berlin-Mitte für Deutschland und das wäre gut. Ganz unrecht hat Jens Spahn also doch nicht. Gut, dass ich schon gewählt habe. Und so viel sei verraten: Die CDU habe ich nicht gewählt.

Autorin
Lena Högemann
Autorin, Podcasterin und Journalistin in Berlin, online und da, wo Aufträge sie hinführen. Lena freut sich, dass du da bist und mehr über sie und ihre Arbeit erfahren möchtest.