Warum ich langsam intolerant werde

Ich bin ein toleranter Mensch, wirklich. Das ist für mich ein wichtiger Wert für das Zusammenleben der Menschen. Aber Solidarität ist es auch. Und genau hier komme ich an meine Grenzen, wenn es um Ungeimpfte geht.

Heute Morgen brauchte meine eineinhalb Jahre alte Tochter einen Coronatest. Sie ist etwas erkältet und war zwei Tage Zuhause. Für mich ist es völlig klar, dass wir sie dann testen, bevor sie wieder in die Kita geht. Da sind immerhin fast dreißig Kinder ohne Abstand und Masken zusammen in einem Raum. Der erste Test hat nicht funktioniert. Wir mussten einen zweiten Abstrich machen. Sie hat geweint und um sich geschlagen. Wenn ich zu ihr sage: „Komm, wir machen einen Coronatest“, bohrt sie mit dem Finger in der Nase. Wenn sie versteht, dass sie dran ist, läuft sie weg. Ich verstehe das sehr gut. Ich quäle also mein Kind, um andere zu schützen. Genau das erwarte ich auch von den anderen Eltern. Und warum muss ich das tun? Weil sich nicht genug Menschen impfen lassen.

Neulich sprach ich mit einer anderen Mutter. Ihr Kind geht in die gleiche Klasse wie meine große Tochter. Sie meinte, dass sie langsam intolerant werde, wenn sie an die Menschen denkt, die sich nicht impfen lassen. Da habe ich verstanden: Ich bin es schon längst. Mir reicht es. Und zwar so richtig. Ich sehe es nicht mehr ein. Ich sehe nicht ein, dass ein eineinhalb Jahre altes Kind sich ständig einem unangenehmen Coronatest unterziehen muss. Ich sehe nicht ein, dass eine Sechsjährige eine Maske trägt, um sich und andere zu schützen. Ich habe vor Kurzem für den Tagesspiegel (im Abo abzurufen) geschrieben, welchen Horror wir durchgemacht haben, als ein Kind in der Klasse meiner Tochter an Corona infiziert war. Am Ende der Ferien waren es zehn Kinder.  Meine Tochter berichtete mir, dass eines der Kinder sogar in der Quarantäne und mit Corona Geburtstag hatte. Es ist grausam, was diese Kinder und ihre Eltern durchmachen.

„Fuck off“ möchte ich nicht selten rufen, wenn ich die neusten Coronazahlen lese und mir wieder Sorgen um meine Kinder mache. Foto: Photo by Jonathan Cooper on Unsplash

Eine andere Mutter, deren Kind an Corona erkrankt war, sagte mir: „Ich wusste eh, dass wir irgendwann dran sind.“ Sie war froh, dass sie und ihr Kind es überstanden haben. Soweit ist es schon! Eltern wissen, dass ihre Kinder nicht geschützt werden und warten darauf, dass ihre Kinder erkranken. Und das alles, weil sich so viele Menschen nicht impfen lassen. Derzeit liegt die Impfquote bei mindestens 66,8 Prozent.  „Wir müssen uns aus der Pandemie rausimpfen“, hat Christian Drosten gesagt. Genau so ist es. Und genau deshalb werde ich langsam intolerant.

Wie ich mit Freundinnen, die sich nicht impfen lassen, umgehen kann, habe ich im September für die Berliner Zeitung aufgeschrieben. Dass es beim Thema Impfen sehr kritische Reaktionen gibt, hatte ich erwartet. Dass ich mir aber Hilfe beim Verein Hateaid einholen muss, der Opfer digitaler Gewalt berät, dass ich juristische Beratung brauche und, dass ich bei Facebook Anfeindungen erlebe, weil ich mich dafür ausspreche, dass sich alle Menschen impfen lassen, das hätte ich nicht erwartet. Ich bin schockiert. Und ich bin auch enttäuscht, dass so viele Menschen die Wissenschaft, die Regierung und unser gesamtes Gesellschaftsmodell, das auf der Grundlage von Solidarität beruht, anzweifeln.

Auf Zeit Online hat Mark Scheritz unter dem schönen Titel „2G für alle“ geschrieben: „Wer sich nicht impft, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch andere (auch weil Tests nicht immer zuverlässig sind).“ Genau so sehe ich das.

Vor allem bin ich wütend. Ich möchte mein Leben zurück. Ich möchte in die Sauna und zum Tanzen gehen können ohne mir Sorgen machen zu müssen, dass ich mich dort trotz Impfung anstecke und meine Kinder gefährde. Ich möchte, dass meine Kinder ihr Leben zurückbekommen. Genau deshalb sage ich Menschen aus meinem Umfeld das auch. Deshalb schreibe ich Artikel über die Situation von Familien und Kindern. Nur, weil Ungeimpfte der Meinung sind, ihre freie Entscheidung stehe über der Gesundheit anderer und deshalb Hass und Hetze gegen vernünftige Menschen verbreiten, höre ich nicht auf, auf die Fakten hinzuweisen.

Autorin
Lena Högemann
Autorin, Podcasterin und Journalistin in Berlin, online und da, wo Aufträge sie hinführen. Lena freut sich, dass du da bist und mehr über sie und ihre Arbeit erfahren möchtest.