Sexismus ist überall

Dieser Artikel könnte auch heißen: Wie schwer es ist, Mädchen im Jahr 2021 zu starken Frauen zu erziehen. Sexismus und klischeehafte Rollenbilder von Männern und Frauen sind so stark verbreitet. Das tut schon manchmal wirklich weh.

Meine Töchter bekommen genau das Rollenmodell vermittelt, das ich gerecht und richtig finde: Ich bin emanzipiert, finanziell unabhängig und lebe in einer gleichberechtigten Partnerschaft. Trotzdem: Es tut manchmal einfach weh, mitzuerleben, was für ein Geschlechterbild meine Töchter transportiert bekommen. Ganz automatisch: In Büchern, Spielsachen, durch Kleidung, in ihrem ganz normalen Umfeld.

Neulich war es besonders schlimm. Ich gehe mit der Sechsjährigen zur Zahnärztin. Meine Tochter sitzt auf meinem Schoß, weil sie immer noch etwas Angst hat. Über dem Stuhl hängt ein Fernsehbildschirm und so darf ich mit ihr zusammen den Disneyfilm Aladin gucken. Den kannte ich noch gar nicht. Dieser Film ist voller sexistischer Klischees: Die Frau hat große Brüste und einen großen Hintern, aber eine sehr schmale Taille. Sie trägt ein knappes Top, bei jedem Schritt schwingt sie verführerisch das Becken. Dann gibt es da diese Szene, in dem sie den Bösen ablenken will und ihn anflirtet. Sie küsst ihn offensichtlich gegen ihren Willen, um Aladin zu helfen. Zum Glück ist die Behandlung meiner Tochter recht schnell vorbei. Der Sexismus, dem meine Tochter an diesem Tag begegnet, allerdings nicht.

Und auf einmal hast du diesen Schrott in der Wohnung. Nur, weil du eine Tochter hast.

Bei Kinderzahnärzt:innen bekommen Kinder Geschenke zum Abschied. Das war mal Zahnpasta oder ein Flummi, aber heute sind es kleine pinke Plastikpuppen. Die Frau, die dargestellt wird, kann wahlweise einen Mehrjungfrauenschanz tragen oder ein Minikleid. Die Haare sind natürlich lang und in diesem Fall pink. Ihr Hintern ist nicht einmal voll bedeckt. Die Füße bestehen praktischerweise gleich aus Absatzschuhen. Das alles erkenne ich leider erst, als wir Zuhause sind.

Aber vorher gehen wir noch auf dem Markt einkaufen. Ich stehe vor einem neuen Fischwagen. Darauf ist eine Frau in Shorts und Top mit sehr großen Brüsten dargestellt, die angelt. Ich habe mich dagegen entschieden, mit dem dickbauchigen Fischverkäufer über Sexismus auf dem Wagen zu diskutieren und stattdessen die Besitzerin des Wagens schriftlich um Einschätzung gebeten, warum es eine wenig bekleidete Frau mit großen Brüsten braucht, um Fisch zu verkaufen. Ihre Antwort: „Ich lehne Ihr Auskunftsersuchen entschieden ab.“ Ihren Namen und den ihres Fischwagens möchte sie hier nicht lesen und mit rechtlichen Schritten droht sie mir auch noch. Ein Foto des Fischwagens veröffentliche ich daher nicht. Aber der interessierte Leser und die interessierte Leserin kann es sich ja angucken, beispielsweise auf dem Arkonamarkt in Mitte.

Wo wir hingehen und hingucken, begegnet uns Sexismus. Meine sechsjährige Tochter wächst damit auf, dass es ganz normal ist. Die dargestellten Frauen haben wenig an, unabhängig vom Wetter. Sie haben große Brüste, von denen möglichst viel zu sehen ist. Ich rede mit meiner Tochter darüber, dass das nichts mit echten Frauen zu tun hat. Dass diese Darstellung falsch ist. Aber diese Darstellungen sind trotzdem immer da.

So viel Sexismus an einem Tag lässt mich nachdenken. Und ich lande schnell bei einem meiner Lieblingsthemen als feministische Mutter zweier Töchter: Kinderbücher. Da wäre zum Beispiel Conni. Es gibt sehr viele Kinderbücher von Conni. Ich habe mal für den Adventskalender zehn Pixibücher von Conni gekauft, ohne sie vorher zu lesen. Heute weiß ich: Das war ein großer Fehler.

Sie sieht sehr nett aus, die kleine Conni. Blöd nur, dass ihre Eltern leben wie in den 60er Jahren.
Foto: Carlsen Verlag, Illustration Janina Görrissen

Conni ist ein blondes Mädchen und wohnt mit ihrem Papa und ihrer Mama in einem schönen Haus. Vorher hat sie in einer Wohnung gewohnt, dann ist sie umgezogen. Als Conni umzieht, packt ihre Mutter ihre ganzen Sachen ein und wieder aus. Als sie in den Kindergarten geht, bringt ihre Mutter sie hin. Und holt sie ab, natürlich schön pünktlich um 12 Uhr. Wenn Papa das macht, ist das etwas ganz Besonderes. Am schlimmsten ist das Buch „Conni lernt die Uhr“. Da macht Conni jede Stunde was anderes, natürlich alles mit ihrer Mama. Papa geht morgens zur Arbeit und kommt abends wieder. Dann darf er vor dem Einschlafen eine Geschichte vorlesen. Aber den Gute Nacht-Kuss muss natürlich Mama geben. Mein Mann war einmal mit unserer großen Tochter in der Bibliothek. Sie wollte sich ein Conni-Buch ausleihen. Das hieß „Conni hilft Mama“. Da hilft Conni ihrer Mutter im Haushalt: Wischen, Saugen, Wäsche waschen und so weiter. Zum Glück hat mein Mann gesagt: „Das Buch lassen wir mal lieber.“

Ich habe den Carlsen-Verlag gefragt, ob es zeitgemäß sei, solch ein Rollenbild zu transportieren. Die Pressestelle schrieb mir, dass die Autorin Liane Schneider ihr erstes Conni-Manuskript vor 29 Jahren einreichte und das ihre Lebensrealität gewesen sei. Connis Mutter arbeite übrigens als Kinderärztin, erklärt mir der Verlag. In den ca. 15 Conni-Büchern, die wir hier Zuhause haben, ist das leider noch nicht der Fall. „Patchworkfamilien, alleinerziehende Eltern, gleichgeschlechtliche Paare etc. kommen in Connis Freundeskreis durchaus vor“, heißt es weiter. Die Pressestelle verweist auf neuere Bücher, zum Beispiel „Conni und das neue Baby“. Da gäbe es auch in Connis Familie ein ganz anders Rollenbild. Ich lese gleich nach. In dem Buch aus dem Jahre 2021, in dem Conni einen Bruder bekommt, heißt es: „Papa verspricht Elternzeit zu nehmen. So kann er zu Hause bleiben und sich mit Mama die Arbeit teilen.“

Das finde ich noch schlimmer: So zu tun, als gäbe es moderne Rollenbilder bei Conni und dann macht der Papa Elternzeit, um Mama Zuhause zu helfen. Fehlt ja nur noch, dass er in dieser Zeit Surfen lernt. Aber die ungerechte Verteilung von Elternzeit ist auch abseits von Kinderbüchern ein echtes Problem.

Das Problem hört ja nicht bei den Büchern auf. Bei Spielzeug haben Rollenklischees regelrecht System. Da hat sich Lego eine ganze Serie von Spielsachen für Mädchen ausgedacht. Lego Friends heißt die Serie. Es sind sechs Freundinnen. Eine davon schreibt und malt (Emma) und eine andere darf doch tatsächlich im Labor arbeiten (Olivia). Die hat sogar eine Brille. Eine Figur ist schwarz (Andrea, die Sängerin). Mia rettet die Tiere im Dschungel und Stephanie ist sehr sportlich. So weit so gut. Aber warum müssen die denn alle sogar im Dschungel Miniröcke tragen. Meine Tochter ist schon selbst draufgekommen, dass man im Dschungel eigentlich lange Hosen anhaben müsste, wegen der Insekten und so.

Heldinnen in Miniröcken: Die Freundinnen von LEGO Friends. Foto: LEGO

Ich habe die Lego-Pressestelle gefragt, warum das Äußere der Mädchen (alle mit langen Haaren, selbst im Dschungel mit Minirock, Ärztin mit Häubchen) so gewählt ist. Die Antwort war famos: „Uns ist Diversität und Inklusion wichtig, weshalb wir gegenwärtig und auch in Zukunft in unserer Produktentwicklung und in unserer ganzheitlichen Kommunikation die Vielfalt der Menschen einbeziehen“, schreibt die Lego-Pressetelle. Im neuen LEGO City Skate Park gäbe es einen Rollstuhlsportler. Und bei LEGO Friends gibt es einen neuen Charakter: Die blinde Savannah.

Ich finde Vielfalt super. Je mehr Aspekte von Vielfalt abgebildet werden, um so besser. Das gilt für Conni und für LEGO genauso. Aber leider ändert sich anscheinend dadurch gar nichts an klischeehaften und sexistischen Rollenbildern. Ich bin mir ganz sicher: Auch die blinde Savannah wird im Dschungel einen Minirock tragen. Das einzige, das hilft: Vorher genau gucken und Nein sagen, wenn es gar nicht zu ertragen ist. Für mich heißt das: Conni lese ich nicht mehr vor und meine Tochter weiß auch, warum. Die Miniröcke bei LEGO ertrage ich hingegen weiterhin und auch die bekloppte pinke Puppe von der Zahnärztin. Die ist aber zum Glück schon nicht mehr gefragt.

Autorin
Lena Högemann
Autorin, Podcasterin und Journalistin in Berlin, online und da, wo Aufträge sie hinführen. Lena freut sich, dass du da bist und mehr über sie und ihre Arbeit erfahren möchtest.