Es ist der 25. November, der Roses Revolution Day – der Tag, an dem Frauen eine Rose an dem Ort niederlegen, an dem sie Gewalt erlebt haben und respektlos behandelt worden sind. Zeit für ein paar Gedanken in diesem Blog-Beitrag.
Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es um Gewalt unter der Geburt.
Es geschieht jeden Tag in den Kreißsälen Deutschlands: Paare gehen voller Zuversicht und Vertrauen in das Krankenhaus ihrer Wahl. Sie haben sich informiert über Kaiserschnittraten, Geburtsmodi und Atemtechniken. Viele wissen, was sie wollen und was nicht. Und nach einigen Stunden oder Tagen, kommen sie ganz erschüttert wieder aus dem Krankenhaus. Meist kommt erst der Vater – oder die Partnerin – raus, steht verloren auf dem Parkplatz und fragt sich: Wie konnte das passieren? Die Frau und das Baby folgen einige Tage später. Die Mutter liegt tagelang auf dem Sofa und fühlt nichts – wenn sie Glück hat und ihre Psyche die Gefühle noch nicht zulässt. In vielen Fällen fühlt sie die Hoffnungslosigkeit, die Leere, die Verzweiflung. Es kommen Flashbacks und Panikattacken und die Liebe für das Kind, sie will sich nicht zeigen. Dabei hat sie sich so sehr auf das Kind gefreut. Wir konnte es nur so weit kommen?
Die Antwort ist einfach: Sie sind in einem Gesundheitssystem gelandet, in dem es nicht um eine selbstbestimmte Geburt geht, sondern um standardisierte Abläufe, in denen Hebammen und Ärztinnen wissen, was zu tun ist. Es geht in vielen Fällen nicht darum, dass die Gebärende auf ihren Körper und ihre Intuition hört, sondern darum, es so zu machen, wie immer: PDA, Wehentropf, vielleicht auch Lachgas oder andere Medikamente. Eine Intervention führt zur nächsten, es kommt zum Kaiserschnitt oder zum Einsatz der Saugglocke. Viele Frauen berichten, wie sie wie ein Stück Fleisch da lagen und andere über ihren Körper verfügt haben. Hinzu kommen unbedachte bis beleidigende Äußerungen der Hebammen und Ärztinnen. Die Folge: Ein Trauma. Flashbacks, Albträume, Panikattacken. So wie wir es aus den Medien bisher von Soldatinnen und Soldaten nach Auslandseinsätzen kennen.
Wie weit verbreitet Übergriffe im Kreißsaal sind, hat Lea Beck-Hiestermann an der Psychologischen Hochschule Berlin erforscht: Von den Befragten gab 38 Prozent an, physische Gewalt erlebt zu haben. Dazu gehören die Gabe von Medikamenten ohne Einverständnis und ein grober Umgang mit der Gebärenden. 36 Prozent der befragten Mütter schilderten Vernachlässigung, wie mangelnde Kommunikation, das Ignorieren von starken Schmerzen und das Wegschicken der Begleitperson. 29 Prozent der Frauen erlebten wie ich psychische und verbale Gewalt in Form von abfälligen Bemerkungen, Beschimpfungen oder lächerlich gemacht zu werden. Und 23 Prozent erlebt Gewalt in der Mutter-Kind-Bindung – etwa durch die Trennung vom Kind ohne Absprache oder erzwungenes Stillen.
Auch für Väter kann die Geburt traumatisch sein. Für eine Recherche habe ich gerade mit mehreren Vätern gesprochen. Einige dachten, ihre Frau würde die Geburt nicht überleben. Andere wurden Zeuge, wie sich eine Ärztin oder Hebamme auf den Bauch der Schwangeren warf – Kristellern heißt der umstrittene Eingriff – und wie ihre Partnerin schrie. Sie konnten die Frau, die sie lieben, nicht beschützen. Das beschäftigt sie bis heute.
Einen Satz, den ich allen betroffenen Frauen und Männern sagen möchte: Ihr könnt nichts dafür. Es liegt nicht an euch, es liegt am System. Und: Holt euch Hilfe. Geht in eine Paarberatung, zur Psychologin, zu einer Selbsthilfegruppe. Wer die Kraft dazu hat, an den Ort des Geschehens zurückzugehen, kann dort am 25. November, dem Roses Revolution Day, eine Rose niederlegen.
Ich lege heute keine rosa Rose nieder. Viele Male bin ich an den Ort zurückgegangen, an dem ich es selbst erlebt habe. Auch ich bin Opfer von Gewalt unter der Geburt geworden. Es ist fast acht Jahre her. Ich wähle dieses Jahr einen anderen Weg: Ich habe mir einen Strauß rosa Rosen gekauft, der hier auf meinem Esstisch steht. Ich schaue ihn an und denke an die vielen Frauen – und auch Männer, die unter den Folgen der Geburt ihres Kindes leiden. Ich bewundere ihren Mut, eine Rose niederzulegen oder auf den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #rosrev öffentlich zu machen, was ihnen passiert ist. Ich schreibe weiter am nächsten Artikel über traumatische Geburten und ihre Folgen. Mein Ziel: Betroffenen eine Stimme geben und zeigen, dass sie nicht allein sind, Paaren ehrliche Informationen über das liefern, was bei der Geburt geschehen kann und allen Verantwortlichen in Politik und Gesundheitswesen zu zeigen: Hier stimmt etwas nicht.
Danke, dass du diesen Artikel gelesen hast und dich mit dem schwierigen Thema „Gewalt unter der Geburt“ beschäftigst.